Der Corriere della Sera über die Viereinhalb-Tage-Woche bei Renner Italia

9 Februar 2024

Marco Madonia interviewt den Geschäftsführer Lindo Aldrovandi für den Corriere della Sera, Ausgabe für Bologna.

Die Viereinhalb-Tage Woche bei Renner: „Freitags ist um 13 Uhr Schluss. Um weniger und besser zu arbeiten, muss man Personal einstellen. Wir machen das“

Lindo Aldrovandi, Geschäftsführer des Unternehmens für Beschichtungen mit Firmensitz in Minerbio bei Bologna: „Ich war ein Arbeiter, der mit 51 entlassen wurde. Heute bin ich CEO eines Unternehmens mit einem Umsatz von 178 Millionen Euro, das Branchenführer ist.“

Renner, das multinationale Unternehmen aus Minerbio im Taschenformat, in dem Holzbeschichtungen hergestellt werden, ist - nach Lamborghini - das zweite Unternehmen aus dem Gebiet um Bologna, das die Arbeitszeit bei gleichem Lohn reduziert. Ab Juni startet ein Experiment mit den Angestellten, bei dem innerhalb von zwei Jahren erreicht wird, dass sie freitags nur noch bis 13 Uhr arbeiten. Der neue Zusatzvertrag enthält mehrere Zuschläge: eine Produktionsprämie von 1.700 Euro, eine Prämie für diejenigen, die freiwillig samstags arbeiten (100 Euro für einen halben Tag, 200 für eine ganze Schicht), Anwesenheitsprämie, 700 Euro Welfare-Leistungen, Mensa und sogar die Möglichkeit, die Abfindung, die in Italien Arbeitnehmern bei Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses zusteht, im Voraus ausbezahlt zu bekommen. Die Neuheit ist die verkürzte Arbeitszeit: Ab Juni ist an einem Freitag pro Monat schon um 13 Uhr Schluss. Jedes halbe Jahr kommt ein weiterer Freitag dazu. Dadurch werden nach Ablauf der 2 Jahre jeden Freitag um 13 Uhr alle nach Hause gehen. „Die Beispiele von Luxottica und Lamborghini haben uns zum Nachdenken gebracht und wir haben beschlossen, es auszuprobieren“, sagt Lindo Aldrovandi, Geschäftsführer und Gründer des Unternehmens.

Die Verkürzung der Arbeitszeit ist eine Forderung, die eher von Ihnen kam als von den Gewerkschaften. Wie kam es dazu?
„Wir setzen alles daran, die Fertigung attraktiv zu gestalten - dieser Bereich ist für junge Menschen am wenigsten interessant. Heutzutage haben fast alle einen höheren Schulabschluss und streben eine Karriere als Angestellter an - auch durch die herrschende Kultur und oft aufgrund der Erwartungen der Familien. Es ist, als wäre manuelle Arbeit weniger wert, aber das stimmt nicht.“

Wie viele Arbeiter haben Sie im Unternehmen?
„Wir haben etwa 370 Angestellte, 150 in der Produktion. Sie ist unser Mittelpunkt. Wir haben immer versucht, der Arbeit ihren Wert zu geben, in diesem Fall haben wir die Gelegenheit ergriffen und verkürzen die Arbeitszeit. Das setzen wir nicht plötzlich um, sondern mit einer langen Testphase. In zwei Jahren werden wir jeden Freitagnachmittag zu Hause sein, bei gleichem Lohn, gleichem Urlaubsanspruch und gleichen zusätzlichen freien Tagen.“

Und wie schaffen Sie es, Ihre Produktion zu garantieren?
„Ganz einfach: Wir stellen ein. Bis Jahresende werden in der Produktion 40 Neue sein. Zwanzig Personen arbeiten wir gerade ein, sieben kommen demnächst und 13 werden wir noch auswählen.“

Ende des Jahres haben Sie eine Kampagne auf den Socal Media und in den Zeitungen gestartet, um Personal zu finden. Wie ist sie gelaufen?
„Wir haben über tausend Lebensläufe erhalten; wir sind förmlich bombardiert worden.“

Immerhin bereitet es Ihnen keine Mühe, Personal zu finden
„Unser Einzugsgebiet umfasst Minerbio, Ferrara, alle kleinen Orte, in denen sich Renner im Laufe dieser 20 Jahre einen Namen gemacht hat.“

Sind Sie sicher, dass es sich lohnt, weniger zu arbeiten?
„Ja, eindeutig. Allen, die eine Runde durch die Fabrik drehen, ist das sofort klar. Wir denken, dass wir eine große Familie sind, in der wir miteinander klarkommen und versuchen, dass es allen gut geht. Diese Kultur führt zu einer proaktiven Haltung.“

Stimmt es, dass eine Arbeitszeitverkürzung nur in großen Firmen funktionieren kann?
„Nein, das stimmt nicht.“

Aber lohnt es sich?
„Wenn die Menschen weniger gestresst sind, leisten sie innerhalb ihrer Arbeitszeit mehr.“

Wie ist es Ihnen vor 20 Jahren gelungen, die Firma zu gründen?
„Das war eine Idee zu einem dramatischen Zeitpunkt. Ich habe 1980 als Arbeiter in einer Firma in Pianoro begonnen, die in derselben Branche ist wie wir. Dort bin ich bis 2003 geblieben - 17 Jahre als Geschäftsführer.“

Vom Arbeiter zum CEO?
„Ich hatte Glück. Ich habe meinen Teil geleistet, der Rest kam von selbst.“

Und dann?
„Im Juni 2003 wurde ich entlassen, weil die Firma an Amerikaner verkauft wurde. In 17 Jahren wechselte mein Chef 14 Mal. Jedes Mal musste man von vorne anfangen. Und doch sind wir enorm gewachsen, bis ich entlassen wurde.“

Und was ist dann geschehen?
„Da sitzt man plötzlich da, mit 51 Jahren, ohne Arbeit und mit Frau und zwei Kindern zu Hause. Einige Nächte fiel es mir schwer, zu schlafen, dann habe ich mir überlegt, wieder das zu machen, was ich immer gemacht habe. Und ich bin nach Brasilien geflogen.“

Warum?
„In Brasilien hatte der Gründer der Firma in Pianoro ein weiteres Unternehmen gegründet, an das wir Rezepturen verkauften und mit dem wir einen Konzessionsvertrag hatten. Dort kannten sie mich und ich habe mir überlegt, die Kinder - drei Jungen - und die Brasilianer mit ins Boot zu holen. Ich brauchte Geld. 2004 haben wir 2,5 Millionen gemacht; wir waren 14 Leute. Die ersten drei Chemiker haben gekündigt und sind zum Arbeiten zu mir nach Hause gekommen. Sie können sich vorstellen, was meine Frau und die Eltern dazu gesagt haben.“

Und jetzt?
„Seit drei Jahren sind wir weltweit das umsatzstärkste Unternehmen. Vergangenes Jahr haben wir 178 Millionen erwirtschaftet und haben 20 wegen der Sanktionen gegen Russland verloren.“

Welchen Einfluss hatte die Erfahrung der Entlassung auf Sie?
„Ich weiß es nicht, ich sage nur, dass die Arbeit und die Menschen, die dahinter stehen, wichtiger sind als die Blechdose und der Lack. Andernfalls könnte ich mir nicht erklären, warum unsere Gewinne immer höher sind als die der Mitbewerber.“

Und was geschieht mit den Gewinnen?
„Sie wurden schon immer zu 60 % wieder ins Unternehmen investiert. Das wird auch die nächsten vier Jahre so bleiben.“